Tierisch satirische Zeiten

Hobby-Biologe und HALLO-Redakteur Ewald Kremer analysiert Archetypen der Tierwelt im Corona-Lockdown

Eine Glosse von HALLO-Redakteur
Ewald Kremer

„Gehen wir es doch einfach gemütlich an“, dachte sich der Bär in mir, als Anfang März die Coronavirus-Welle in das Kreisgebiet schwappte. Ziehen wir uns in die Höhle zurück und kuscheln uns aneinander! Welch illusorische Vorstellung! Die folgenden Wochen sollten tierisch anstrengend, mitunter aber auch satirisch komisch werden. Hier eine tagebuchartige Nachzeichnung der letzten Wochen.

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Die Paradiesvogelphase: Schnell sind sie da, die Mitmenschen, die sich die freie Zeit in den schillerndsten Farben ausmalen. Eine neue „Qualitytime“ sei angebrochen. Endlich gebe es Zeit für Bücher, für kreative Hobbies, für ernsthafte Gespräche. Ich denke nur: „Wer bis heute nicht gelesen hat, der liest nimmermehr!“

Die Vielfraßphase: Wenn wir schon nicht raus können, sollten wir uns wenigstens etwas Gutes zu Essen gönnen. Hüftgold-Logik nennt man das wohl. Tatsächlich zeigt auch meine Waage Werte an, die ich nicht glauben kann. Ich ziehe in Erwägung, eine neue Waage im Internet zu kaufen, wage es aber dann doch nicht.

Faultierphase: Sie schließt sich direkt an die Vielfraßphase an und ist bereits von einer gehörigen Portion Frustration gekennzeichnet. Das Faultier ist bekanntlich sehr träge und geht nur einmal in der Woche aufs Klo. Beides funktioniert beim Menschen nicht wirklich gut. Und auch meine These ist nun widerlegt, wonach der Tag schneller umgeht, wenn man sich langsamer bewegt.

Doktorlippfisch: Nach stundenlangem Schweigen habe ich die Lippen bewegt. Meine Frau meint, ich solle mal zum Arzt gehen.

Straußversehen: Wetter prima, werde wieder aktiver. Stecke mir bei der Gartenarbeit Sand in den Kopf. Irgendetwas läuft hier verkehrt!

Kampfläufer: Alle Leute joggen jetzt. Ich auch. Nach zwei Kilometern rufe ich meine Frau an, sie soll mir ein Sauerstoffzelt bringen.

Kegelrobbentag: Eigentlich wäre heute Kegeln mit den Freunden angesagt. Geht aber nicht. Ich robbe zurück auf die Couch.

Die Tage des Bartkauzes: „Faulheit führt in die Verwahrlosung“. „Ein Mensch der Jogginghose trägt, hat die Kontrolle über sein Leben verloren.“ – In dieser Phase gibt es dringliche Aufrufe, die eigene Körperpflege nicht zu vernachlässigen. Nach sieben Tagen geht tatsächlich die Wucherung an Kinn und Wangen nicht mehr als Dreitagebart durch.

Der Mähnenwolf grüßt: Friseurbesuch geht auch nicht. Gottseidank muss ich mir keine Sorgen um die Nachfärbung des Haaransatzes machen. Ich trage einen recht breiten Scheitel.

Pandabär-Phase: „Auch so ein Faultier“, dachte ich bis dato immer. Bis mir ein TV-Bericht mit poppenden Pandabären aus einem chinesischen Zoo vor die Augen kommt. Tatsächlich gelten die Pandas als wenig sexfreudig. Diese wissenschaftliche Erkenntnis muss nun revidiert werden. Sie wollen nur einfach nicht beim Beischlaf beobachtet werden und genießen die besuchsfreie Zeit. Ich beschließe, dieses Thema noch am gleichen Abend ernsthaft mit meiner Frau zu erörtern.

Warnung vor Flughunden: Zu viel Ruhe, zu viel Essen, zu viel Alkohol – auch das ist zu einem neuen Dreiklang geworden! Ich ertappe mich dabei, wie ich eines Abends auf der Dachterrasse stehe, laut belle und mich in den Abgrund stürzen will. Mit einem hässlichen Knirschen erwache ich und stelle fest, dass ich die Nacht auf meiner Lesebrille verbracht hatte. Ein weiterer hundsmiserabler Tag kann beginnen. Wenigstens habe ich Jeans und Schuhe schon an.

Und täglich grüßt das Murmeltier: Das Problem mit der Zeitschleife kennen wir alle spätestens seit dem Film mit Bill Murray und Andie MacDowell. Ich fühle mich wiederholt nach Punxsutawney versetzt und beschließe mir einen Radiowecker mit analog wechselndem Zifferblatt zu kaufen.

Gorillaphase: Mit zunehmender Dauer der Coronakrise gewinnen die Besserwisser und Habe-ich-ja-immer-schon-gesagt-Experten Oberwasser. Mitunter komme ich an meine Toleranzgrenze. „Reg dich nicht auf, mach die Atemübung Gorilla“, lese ich in einem schlauen Ratgeber. Also steige ich abends auf bereits erwähnte Dachterrasse, atme tief ein und brülle dann meinen Frust hinaus. Überall öffnen sich daraufhin Fenster, Leute treten auf ihre Balkone und klatschen minutenlang. Erst am anderen Tag lese ich, dass der Beifall gar nicht mir gegolten hat.

(aus HALLO Borken 05.2020)

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