Regelmäßig beziehen die Anwälte der Kanzlei Friedrich, Westhus-Wedig & Coll. im HALLO Magazin Stellung zu aktuellen Rechtsfragen. Dieses Mal widmet sich Rechtsanwalt Dr. Carsten Hoth dem Thema „Einstellung des Loveparade-Verfahrens“:
„Wir erinnern uns: Im Sommer 2010 kamen bei der Loveparade in Duisburg 21 Menschen ums Leben, viele Hundert wurden verletzt. Die strafrechtliche Aufarbeitung des Vorgangs nahm viel Zeit in Anspruch. Man hat sich bei der Staatsanwaltschaft sehr lange damit befasst, bestimmte Ursachen auszuschließen (insbesondere das polizeiliche Verhalten) und ist auch mit dem zunächst beauftragten Gutachter nicht gut gefahren. Das hat im ersten Schritt zur Nichtzulassung der Anklage geführt und quasi zu einer Ehrenrunde, bevor die jetzige Strafkammer mit dem Verfahren befasst wurde. Nun ist Anfang Februar 2019 das Verfahren gegen sieben der zehn Angeklagten eingestellt worden. Wie ist das rechtlich zu bewerten? Einige Stimmen sprechen jetzt von der „Katastrophe nach der Katastrophe“
(Süddeutsche Zeitung), dürften damit aber überziehen. Ein Strafverfahren
dient ausschließlich dazu, die tatsächlichen Abläufe aufzuklären, die Schuldanteile der Angeklagten zu ermitteln und die daraus resultierenden Bestrafungen auszusprechen. Die Strafprozessordnung hält, wenn zwar eine Schuld des Einzelnen feststeht, oder zumindest sehr wahrscheinlich, aber nur als gering einzustufen ist, zwei Möglichkeiten bereit, ein Verfahren auch ohne ein Urteil vorzeitig zu beenden, nämlich die Einstellung ohne (§ 153 StPO) oder mit Geldauflage (§ 153a StPO). Ohne Geldauflage eingestellt wird bei „geringer“ Schuld, mit Geldauflage bei „mittlerer“ Schuld. Ob dies vorliegt, wird in jedem Einzelfall ermittelt. Auch wenn es irritiert, dass für ein derartiges Unglück schließlich keiner „schuldig“ im Sinne einer Verurteilung ist: Es ist in einem Rechtsstaat Aufgabe des Staats, die Schuld des (vermeintlichen) Täters nachzuweisen. Gelingt dies nicht, ist freizusprechen. Liegt nur geringe Schuld vor, ist einzustellen.
Zwei Punkte sind kritisch anzumerken: Der Zeitpunkt der Einstellung überrascht, da das entscheidende Gutachten noch überhaupt nicht in der mündlichen Verhandlung erörtert wurde, und damit die beiden
Schöffen hierzu noch keine Einschätzung abgeben konnten, immerhin entscheidet das Gericht und nicht der Vorsitzende der Strafkammer. Zweifel kann man darüber hinaus haben, ob die Strafjustiz in Deutschland überhaupt in der Lage ist, solche komplexen Geschehensabläufe mit schweren Folgen ordnungsgemäß abzuarbeiten. Hier hat sich im gesamten Loveparade-Verfahren erneut eine Schwäche des strafrechtlichen Systems offenbart: Gerade bei größeren Katastrophen (Contergan, Flughafen Düsseldorf, Kölner Stadtarchiv) und bei komplexeren politisch brisanten Verfahren (Mannesmann, Spendenaffäre Kohl) weichen die Justizorgane gern auf die Einstellung aus. Auch das Loveparade-Verfahren wird sich hier wohl einreihen. Und dies ist das eigentlich Unbefriedigende an dem Ausgang.
Dr. Carsten Hoth