Living in a box

HALLO-Redakteur Ewald Kremer macht sich Luft (aus HALLO 08.2021)

„Raum ist in der kleinsten Hütte“, sagt ein deutsches Sprichwort. Aber eben nicht besonders viel. Warum ausgerechnet „Tiny Houses“ also der letzte Schrei sein sollen, erschließt sich mir nicht. Seit Jahren greift der Trend um sich, sich auf wenigen Quadratmetern ein komplettes Wohnhaus zu errichten, dass auf einem Anhänger durch die wechselnden Lebensabschnitte gezogen wird. Mittlerweile gibt es in Deutschland mehr als 30 Anbieter, die Tiny Houses bauen. Sogar Tchibo hatte die Wohnzellen schon im Angebot.

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Eine Glosse von HALLO-Redakteur Ewald Kremer

Klar, die Idee dahinter klingt romantisch und hat irgendwie auch einen nachvollziehbaren Kern. Sich von dem angehäuften Ballast zu befreien, sich mit weniger Platz zufrieden zu geben, nachhaltiger zu leben – das alles kann ja jeder mit gutem Gewissen unterschreiben. Außerdem herrscht Platzmangel in den Großstädten und die steigenden Mieten können viele nicht mehr bezahlen. Nicht zuletzt gibt es im Tiny House nicht viel zu putzen und der Kühlschrank ist immer in greifbarer Nähe.

Dumm ist nur, dass kein Plattenbaubewohner und kein Student sich ein Tiny House leisten kann. Denn die Wohnklos sind vergleichsweise teuer. Weil sie meist nicht mehr als 3,5 Tonnen wiegen dürfen (sie sollen ja mobil bleiben), sind sie zudem in Leichtbauweise konstruiert. Sie halten also nicht besonders lange und bei schlechter Dämmung friert man sich einen Wolf. Für viele Tiny Houses ist in der Stadt zudem kein Platz, denn man kann sie nicht stapeln. Und mit dem Grundstück im Grünen, auf dass man am liebsten ziehen möchte, ist auch meist nicht der Stadtpark gemeint.

Sind Tiny Houses also nur ein romantischer Fake? Naja, beim Blick auf Pinterest, Instagram und YouTube könnte einem der Gedanke kommen. Hier ziehen nämlich überwiegend gut situierte und smarte Menschen mit moderaten handwerklichen Fertigkeiten in die spartanischen Buden. Lauter Leute mit echten „First World Probleme“ – zu viel Stress, zu viel Habe und zu viel Nähe zu anderen Menschen in den engen Schluchten der Großstadt. Warum ausgerechnet diese sich zutrauen, ihr Wohnen auf wenige Quadratmeter reduzieren zu können, ich weiß es nicht. Ein prominenter Bewohner eines Tiny Houses ist übrigens der Milliardär Elon Musk. Was sagt uns das?

Noch etwas: Das eingangs zitierte Sprichwort stammt von Friedrich Schiller und lautet komplett „Raum ist in der kleinsten Hütte für ein glücklich liebend Paar“. Schwer vorstellbar, dass die Romantik von Dauer ist, wenn man permanent aufeinander hockt. Wohnen auf engstem Raum bedeutet nämlich ständige Rücksichtnahme auf die Mitbewohner. Und die gelingt schon in Studenten-WGs nicht besonders gut.

Mein Vorschlag: Bevor man sich selbst ein Tiny House zimmert oder teuer kauft, einfach mal eine Woche in ein Dixie-Klo ziehen. Da hat man alles auf nur 1,5 Quadratmetern zusammen inklusive sanitärer Anlagen. Die Dinger kann man schon ab 50 Euro pro Woche mieten – mit Bring- und Abholdienst, Schlüssel, batteriebetriebener LED-Leuchte und Reinigungsservice. Ein wunderbares Sozialexperiment, zu dem man nur sagen kann: „Toi, toi, toi!“

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