Geschenkepanik

HALLO-Redakteur Ewald Kremer geht unter die Propheten (aus HALLO 12.2021)

Kennen Sie das Problem der sich selbst erfüllenden Prophezeiung? Am Beispiel Weihnachtsgeschenke kann man es schön deutlich machen. Schon Ende Oktober wurde verbreitet, man müsse schnellstens losmarschieren und Geschenke kaufen. Denn in diesem Jahr sei alles knapp. Weil die Fahrradfabriken vom Boom überrascht wurden. Weil die Chips für Elektrogeräte fehlen. Weil die Chinesen das Holz wegkaufen. Weil die Containerschiffe alle ausgebucht sind oder Verspätung haben, weil eines vor einiger Zeit mal im Suez-Kanal querstand. Weil Erwachsene mit Kinderstimmen die Haribos wegessen. Und weil der Black Friday jetzt schon montags beginnt…

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Eine Glosse von HALLO-Redakteur Ewald Kremer

Mag alles stimmen, panisch muss man deswegen aber nicht werden. Dennoch liefen viele Zeitgenossen sofort in die Geschäfte, und kauften, was das Zeug hielt. Die Folge: Jetzt wird es auch bei Warengruppen eng, bei denen es eigentlich keine Gefahr der Knappheit bestand. Die Prophezeiung hat sich erfüllt, nur weil es sie gab.

Wir Menschen sind schlicht gestrickt und lassen uns gerne von Emotionen leiten. Erinnern Sie sich nur an die Hamsterkäufe zu Beginn der Pandemie, als plötzlich Klopapier, Mehl und Hefe ausverkauft waren. Auch da war es ein psychologischer Effekt, der viele in die Läden trieb. Nun kann man die Not eines WC-Sitzers gut nachvollziehen, der nach erfolgreich getätigtem „Geschäft“ panisch auf die blanke Papprolle im Klopapierhalter starrt. Aber sich bei Weihnachtsgeschenken in ähnlichen Ängsten zu verlieren, ist gelinde gesagt Unfug. Ein unerfüllter Geschenkewunsch ist maximal ein Ärgernis, aber wahrlich keine Katastrophe.

Mein Tipp: Greifen Sie beim Weihnachtsshopping einfach zu den Dingen, die es noch reichlich gibt: Kleidung, Bücher, Spiele, Schmuck, Düfte, meinetwegen auch Deko-Zeug für die Wohnung, Krawatten oder garstige Weihnachtspullover. Oder basteln Sie selbst etwas, backen Sie Plätzchen, rühren Sie Backmischungen zusammen, produzieren Sie Liköre oder stricken Sie Socken! Verschenken Sie Zeit, eine Einladung zum Essen, einen Kurzurlaub, einen Reifenwechsel, eine Massage oder ein Babysitting!

Ich prophezeie Ihnen, dass die neue Genügsamkeit Ihre Phantasie beflügeln und die von Ihnen Beschenkten glücklich machen wird. Denn beim Schenken zählen vor allem die Gedanken, die man sich um den anderen gemacht hat. Wenn Sie auch daran glauben, wird diese Prophezeiung ganz bestimmt in Erfüllung gehen.

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